Das US-Justizministerium zieht Grundsatzerklärungen zurück, die einen begrenzten sicheren Hafen für den Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern definiert haben.
Am 3. Februar 2023 gab die Kartellabteilung des US-Justizministeriums (DOJ) bekannt, dass sie drei Grundsatzerklärungen zurückzieht, die das DOJ und die Federal Trade Commission (FTC) zwischen 1993 und 2011 im Zusammenhang mit der Kartellrechtsdurchsetzung im Gesundheitswesen veröffentlicht hatten und die sich unter anderem mit der Zulässigkeit des Informationsaustauschs befassen. Obwohl sich die nun zurückgezogenen Grundsatzerklärungen speziell auf das Gesundheitswesen bezogen, wurden sie in vielen Branchen für die kartellrechtliche Analyse des Informationsaustauschs – beispielsweise bei Preis- und Lohnumfragen – herangezogen.
Bei der Rücknahme der Grundsatzerklärungen bezeichnete das DOJ diese als „veraltet“ und „in bestimmten Punkten zu freizügig“, insbesondere hinsichtlich des Austauschs von Preis- und Kosteninformationen zwischen Wettbewerbern. In der Ankündigung wurde nicht erwähnt, ob das DOJ plant, die Erklärungen durch alternative Leitlinien zu ersetzen. Stattdessen heißt es in der Ankündigung, dass das DOJ künftig bei der Bewertung solcher Verhaltensweisen einen „fallbezogenen Durchsetzungsansatz“ verfolgen werde.
Der Schritt des DOJ beseitigt effektiv die seit langem bestehenden Safe Harbors, die das DOJ für den Informationsaustausch in der Gesundheitsbranche eingerichtet hatte. Insbesondere haben das DOJ und die FTC in den „Statements of Antitrust Enforcement Policy in Health Care”(Erklärungen zur Durchsetzung des Kartellrechts im Gesundheitswesen) von 1996 eine „Kartellrechtssicherheitszone” für bestimmte Arten des Austauschs von Preis- und Kosteninformationen zwischen Gesundheitsdienstleistern eingerichtet. Diese sichere Zone garantierte der Wirtschaft, dass das DOJ, sofern keine „außergewöhnlichen Umstände” vorlagen, die Teilnahme konkurrierender Gesundheitsdienstleister an Umfragen zu Preisen für Gesundheitsdienstleistungen oder Mitarbeitervergütungen nicht beanstanden würde, solange die folgenden Bedingungen erfüllt waren:
- Die Umfrage wurde von einer unabhängigen dritten Partei durchgeführt.
- Die bereitgestellten Informationen waren mehr als drei Monate alt.
- Mindestens fünf Anbieter haben Daten zu den veröffentlichten Statistiken beigetragen.
- Die Daten eines einzelnen Anbieters machten nicht mehr als 25 % der gewichteten Informationen aus.
- Die Daten wurden ausreichend aggregiert, sodass die Teilnehmer nicht erkennen konnten, wer sie bereitgestellt hatte.
Vor der Ankündigung des DOJ in der vergangenen Woche konnten sich Unternehmen aller Wirtschaftsbereiche auf diese Erklärungen verlassen und davon ausgehen, dass die bloße Weitergabe von rückblickenden, anonymisierten und aggregierten Preisinformationen wahrscheinlich nicht die Aufmerksamkeit der Kartellbehörden auf sich ziehen würde. Die Rücknahme dieser Grundsatzerklärung durch das DOJ könnte dies nun ändern.
Obwohl sich die Grundsatzerklärungen speziell auf die Gesundheitsbranche bezogen, werden die Auswirkungen der Rücknahme dieser Erklärungen durch das DOJ nicht so begrenzt sein, da sich die Behörden in einer Vielzahl anderer Kontexte auf diese Erklärungen stützen. Beispielsweise haben das DOJ und die FTC im Jahr 2016 Antitrust-Leitlinien für Personalverantwortliche, die nicht speziell für die Gesundheitsbranche gelten, die Gesundheitspolitischen Erklärungen von 1996, um zu erläutern, wie ein kartellrechtlich konformer Informationsaustausch für Lohn- und Sozialleistungsinformationen in allen Branchen gestaltet und umgesetzt werden kann. Im Jahr 2021 wies Präsident Biden in seiner Verordnung zur Förderung des Wettbewerbs in der amerikanischen Wirtschaft das DOJ und die FTC an, eine Überarbeitung der HR-Leitlinien in Betracht zu ziehen, „um Arbeitnehmer besser vor Lohnabsprachen zu schützen”; daher sind weitere Überarbeitungen der HR-Leitlinien durchaus denkbar.
Ebenso haben das DOJ und die FTC Kartellrichtlinien für Kooperationen zwischen Wettbewerbern die inzwischen zurückgezogenen Erklärungen zur Gesundheitspolitik und formulieren viele der gleichen Grundsätze in Bezug auf den Informationsaustausch, wobei sie darauf hinweisen, dass der Austausch historischer Informationen und aggregierter Daten in der Regel weniger problematisch ist als der Austausch zukünftiger Unternehmenspläne und individualisierter Daten. Die Rücknahme durch das DOJ könnte auch zu einer Überarbeitung oder Rücknahme dieser Leitlinien führen.
Wichtig ist, dass die Rücknahme der Grundsatzerklärungen durch das DOJ nichts an den bestehenden Kartellgesetzen ändert, wonach der Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen ohne Vereinbarung zur Festsetzung von Preisen an sich keinen Verstoß gegen den Sherman Act darstellt. Stattdessen kann der Informationsaustausch nur nach der „Rule of Reason“ als rechtswidrig eingestuft werden, basierend auf der tatsächlichen Feststellung einer Schädigung des Wettbewerbs und der Abwägung etwaiger wettbewerbsfördernder Vorteile, die sich aus dem Austausch ergeben. Wie das DOJ seinen Einzelfallansatz anzuwenden gedenkt – und inwieweit es einen per se-Ansatz in einem breiteren Kontext anzuwenden versucht – bleibt abzuwarten.
Neben der Aufhebung des sicheren Hafens für den Informationsaustausch haben die Rücknahmen auch Auswirkungen auf die Vermutungen darüber, wann das DOJ bestimmte Krankenhausfusionen und Joint Ventures anfechten wird, sowie auf die Herangehensweise der Behörden an Accountable Care Organizations. Insbesondere die „Statements of Antitrust Enforcement Policy in Health Care” von 1996 legten das weithin anerkannte Konzept fest, dass unter geeigneten Umständen die klinische Integration und/oder finanzielleIntegrationgemeinsame Managed-Care-Verträge zwischen separat geführten Gesundheitseinrichtungen rechtfertigen kann. Derzeit gibt es jedoch weder seitens des DOJ noch seitens der FTC Anzeichen dafür, dass eine der beiden Behörden diesen seit langem bestehenden Grundsatz grundlegend überdenken würde.
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels hat die FTC noch keine dieser drei Grundsatzerklärungen separat zurückgezogen. Daher kann man davon ausgehen, dass die FTC ihre Unterstützung für diese Erklärungen ebenfalls aktiv überdenkt, auch wenn die Erklärungen weiterhin die ratifizierte Politik der FTC widerspiegeln.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ankündigung des DOJ Unternehmen aller Branchen, die sich am Austausch von Preisen, Löhnen oder anderen wettbewerbsrelevanten Informationen beteiligen, zum Nachdenken anregen sollte. Solchen Unternehmen wird empfohlen, sich an einen Kartellrechtsanwalt zu wenden, der ihnen dabei hilft, sich in diesem neuen Umfeld zurechtzufinden.